Sind tausende Bäume weniger wert als ein verbogenes Zaunelement und eine leicht verletzte Hand?
Die völlig undifferenzierte und kaum auf konkreten Sachbeweise gestützte Anklage der Staatsanwaltschaft Graz gegen 7 Beklagte beim Prozess am 5. Juli 2017 im Landesstrafgericht Graz ist in sich zusammen gebrochen. Nur mit dem ohne jeder weiteren Begründung verkündeten Dogma, dass wer, wenn auch nur kurz, am Bauzaun rüttelt, den Vorsatz habe, diesen umzuwerfen und so eine Nötigung gegenüber den Security Mitarbeitern zu begehen kratze Richterin Margarete Lapanje die Kurve, um wenigstens zwei angeklagte Versammlungsteilnehmer wegen Nötigung zu verurteilen, während 4 weitere Angeklagte zweifelsfrei keinerlei Mitwirkung am umstrittenen Vorfall hatten und frei ausgingen.
Entlastungsvideo rettet zumindest 4 Angeklagte vor Vorverurteilungen
Das von Strafverteidigern Dr. Chrinstine Lanschützer als Anwältin von zwei Beschuldigten vorgelegte Videomaterial zeigte nämlich deutlich, dass zwei der Angeklagten Frauen und ein Mann abseits der nach massiven Übergriffen von Security-Mitarbeitern aufgeschaukelten Situation standen, und diese nur beobachtet hatten. Auch zeigte das Video für alle klar erkennbar, dass der erst kurz vorher zu den Protesten gerufene Security-Mitarbeiter kurz vor Umfallen des Zaunes mit bloßen Händen von oben auf den Zaun fasste. Die angeblich „schwere Körperverletzung in verabredeter Gemeinschaft“ war somit vom Tisch, zumal auch der Verletzte davon sprach, dass es sehr rutschig gewesen sei und seine auch sonst vagen Aussagen dem Entlastungsvideo widersprachen.
Die zwei später für Nötigung – noch nicht rechtskräftig – verurteilten Vesammlungsteilnehmer, die an entgegengesetzten Ende standen, übernahmen die Verantwortung für angeblich 4 beschädigte Zaunelemente und beglichen die vom Kraftwerkserrichter der EStAG und via Anwalt Bernhard Lehofer als Privatbeteiligter in der Verhandlung anwesenden als Schaden für 4 beschädigte Zaunfelder angegebenen 240 Euro vor Ort. Vom einvernommenen Baustellenleiter wurden später nur noch 2 Elemente zu je 33 Euro und eine Schelle um 2 Euro als Schaden angegeben.
Eine Beklagte bekannte sich schon bei der Polizeieinvernahme vermutlich aufgrund von Einschüchterung für alle drei Punkte (Körperverletzung, Nötigung und Sachbeschädigung) schuldig und ging eine Diversion ein, obwohl auch sie nicht wirklich treibend am Umfallen des Zauns beteiligt war.
Am Video war zwar erkennbar, dass einige junge Menschen stark rüttelten, aber ob diese mit dem Brechen der Zaunschelle rechneten und wirklich den Sturz des Zaunes beabsichtigten oder doch nur Wut über die Übergriffe der Security ausrücken wollten, bleibt also weiter der reinen Spekulation überlassen. Die „Nötigung“ wird durch die Auslegung beim Gericht zum Gummiparagraf, der leicht verwendet werden kann, um Proteste gegen umstrittene Großprojekte zu kriminalisieren, wenn diese aufgrund eskalierender Situationen zwischendurch für einige Sekunden im wahrsten Sinne des Wortes entgleiten. Der bedingte Vorsatz – „dolus eventualis“ entpuppt sich bei Gericht also als sehr flexibel und kann fast jeden kalt erwischen.
Demonstrieren ohne Anwalt nicht mehr möglich?
Wenn diese Auslegung der „Nötigung“ wirklich stand halten sollte, muss mensch in Zukunft bei Demonstrationen höllisch aufpassen, wenn sich bei einer Versammlung die Stimmung zuspitzt, denn er oder sie könnte dann für etwas haftbar gemacht werden, was mensch selbst nie beabsichtigt hatte, indem mensch direkt in der Situation gleichzeitig mitgefangen ist. Was von den Betreibern umstrittener Großprojekten wohl auch bezweckt wird.
Dass die Ursachen der Eskalation einer Demonstration gegen die überraschend am 6.2.2017 in Graz begonnene Rodung von tausenden ausgewachsenen Aubäumen in der Überreaktionen der Security-Mitarbeiter lagen, die auf eine Verschieben des Zauns mit überschießender Gewalt reagierten, wurde aber geflissentlich ausgeblendet. Ein Security Mitarbeiter hieb rasend wild auf die ungeschützten Finger eines den Zaun schiebenden Demonstranten einhieb, was am vorgelegten Entlastungsmaterial erkennbar ist.
Die zwei nach dieser eher kurzen und fahrigen (ja zum Teil sogar schwer nachvollziehbaren) Verhandlung (Vor)Verurteilten werden also wohl in die nächste Instanz gehen müssen, um ein Urteil zu bekommen, das der realen Situation gerecht wird und nicht alle in einen Topf wirft. Es ist schon bedenklich genug, wenn die Staatsanwaltschaft bei strittigen Vorfällen einfach prophylaktisch alle anklagt, derer die Polizei habhaft werden konnte. Nur dank des Entlastungsvideos konnte rasch für 5 Angeklagte Entwarnung gegeben werden, während zwei mit Geldstrafen von 240 Tagsätzen zu 4 bzw. 12 Euro pro Tag, also von 960 und 2.880 Euro das Bummerl haben und sozusagen die Schuld stellvertretend für alles auf sich nehmen müssen.
Das Urteil ist jedenfalls noch nicht rechtskräftig. Über die weitere Vorgangsweise entscheiden die zum Handkuss Gekommenen nach Erhalt des schriftlichen Urteils. Die Ungleichheit zwischen der Seite der Macht und der Seite widerständischer BürgerInnen wurde jedenfalls mehr als deutlich sichtbar, auch wenn das Schlimmste verhindert werden konnte.
Ein Bericht der Prozessbeobachtung folgt noch in den kommenden Wochen so wie das mit Spannung erwartete Urteil mit seiner näheren Begründung.