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Berufung gegen LG Graz Urteil

Von Murxadmin am Mo., 06.09.2021 - 21:49
Briefverlauf
Datum des Briefes

ERV

Landesgericht für ZRS Graz

Marburger Kai 49

8010 Graz

Wien, am 28.09.2018

 

Gebühreneinzug von Konto im Anschriftscode

 

GZ: 39 Cg 129/17 w

Klägerin:

KLS Group GmbH & Co KG

Judendorfweg 10a

8101 Gratkorn

vertreten durch:

RA Dr. Hans Lehofer

Kalchberggasse 6/1. Stock

8010 Graz

R600752

Beklagte:

Karin Rausch

vertreten durch:

RA in Dr. in Maria Windhager

Siebensterngasse 42-44

1070 Wien

R137001

wegen:

Unterlassung € 10.000,00
Widerruf € 10.000,00

Streitwert:

Gesamt € 20.000,00

 

BERUFUNG

2-fach

Gegen das Urteil des LG für ZRS Graz zu GZ 39 Cg 129/17w vom 31.08.2018, zugestellt am 31.08.2018, erhebt die Bekl fristgerecht

BERUFUNG

an das OLG Graz mit dem höflichen

ANTRAG,

der Berufung Folge zu geben und das angefochtene Urteil

1. dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen und der Kl der Ersatz der bisherigen Verfahrenskosten sowie der mit € 2.992,92 (darin € 308,32 an 20% USt und € 1.143,00 an Pauschalgebühren) bestimmten Kosten der Berufung binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution auferlegt wird;

in eventu:

2. aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung und Verhandlung an das ErstG zurückzuverweisen, wobei die Kosten des Berufungsverfahrens weitere Verfahrenskosten sind.

BEGRÜNDUNG:

Das Ersturteil wird wegen Aktenwidrigkeit, unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten.

I. Unrichtige rechtliche Beurteilung

1. Das ErstG irrt über die Bedeutung des Begriffs „Übergriff“, den die Bekl in ihrer Beschwerde an die Datenschutzbehörde verwendet hat.

Es greift zu kurz, wenn aus der Definition im Duden abgeleitet wird, dass ein Übergriff „rechtswidrig“ sein müsse. Zunächst ist festzuhalten, dass der Begriff gesetzlich gar nicht gebräuchlich oder definiert ist.

Andere Wörterbücher beschreiben „Übergriff“ auch in Varianten ohne „Rechtswidrigkeit“. So etwa das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (www.dwds.de): „eigenmächtige, die Kompetenz überschreitende, gegen jmdn., etw. Gerichtete Handlung“. Oder de.wiktionary.org: „ein rechtswidriger und/oder unangenehmer Handlungsakt“.

Gerade im Zusammenhang mit Demonstrationen wird „Übergriff“ sehr häufig verwendet, um Vorfälle von Tätlichkeiten zu beschreiben. So wird regelmäßig in der Medienberichterstattung von „Übergriffen auf Demonstranten“, „Übergriffen gegen Demonstranten“, „Übergriffen der Polizei“ usw. geschrieben. Gerade bei den „Übergriffen der Polizei“ zeigt sich, dass eine abschließende Beurteilung der Rechtswidrigkeit im Begriff noch nicht enthalten ist. Polizeigewalt wird häufig gerechtfertigt sein, ist es jedoch nicht immer. Für beide Fälle ist die Bezeichnung als „Übergriff“ jedoch üblich.

Der Begriff ist weiters im Bereich sexueller Belästigungen geläufig, wo oft von „sexuellen Übergriffen“ gesprochen wird. Als „Übergriff“ gilt dabei regelmäßig auch Verhalten, das die Grenze zur Rechtswidrigkeit bzw. Strafbarkeit noch nicht überschreitet, das aber ein unerwünschtes Eindringen in die persönliche Sphäre darstellt. Dazu hat sich auch das Adjektiv „übergriffig“ etabliert.

Vergleicht man dies mit dem vom ErstG festgestellten Sachverhalt, wonach ein Mitarbeiter der Kl „fünfmal auf die den Zaun umklammernden Finger“ eines Mannes schlägt, und weiters der Feststellung: „Ein Mitarbeiter der klagenden Partei umfasst einen Mann, der sich am Bagger festklammert, von hinten im Bereich des Gesichtes und zieht ihn zu Boden.“, so entspricht dies durchaus dem üblichen Sprachgebrauch von „Übergriff“.

Sofern man überhaupt von einer Tatsachenbehauptung ausgehen will (siehe gleich 2.), hätte das ErstG damit aber zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die erhobenen Vorwürfe wahr waren und daher den Tatbestand des § 1330 ABGB nicht erfüllen.

2. Selbst wenn man jedoch mit dem ErstG annehmen wollte, dass ein „Übergriff“ nur vorliegen könne, wenn eine rechtswidrige Handlung erfolge, wäre zu berücksichtigen gewesen, dass dann eben eine Wertung und nicht eine Tatsachenbehauptung vorliegt.

Nach der Rechtsprechung gilt: Je weniger die zu beurteilende Rechtsfolgenbehauptung nicht einfach aus dem Gesetz abzulesen ist, sondern auf einem Vorgang der persönlichen Erkenntnisgewinnung beruht, je eingehender die Grundlagen dieses Erkenntnisprozesses dargestellt werden, und je deutlicher zum Ausdruck kommt, dass eine subjektive Überzeugung im geistigen Meinungsstreit vertreten wird, umso eher wird ein reines Werturteil vorliegen (RIS-Justiz RS0112211). Ein und dieselbe Äußerung kann je nach dem Zusammenhang, in den sie gestellt wird, bald unter den Begriff der Tatsachenbehauptung, bald unter den Begriff des reinen Werturteils fallen; entscheidend ist dabei, wie die Äußerung von den Empfängern - zu einem nicht unerheblichen Teil - verstanden wird (RIS-Justiz RS0031815).

Welcher Bedeutungsinhalt einer bestimmten Äußerung beizumessen ist, ob es sich um die Verbreitung von Tatsachen, die Verbreitung einer auf einem wahren Tatsachenkern beruhenden wertenden Meinungsäußerung oder eines Werturteils handelt, richtet sich nach dem Zusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck, den ein redlicher Mitteilungsempfänger gewinnt (RIS-Justiz RS0031815 [T26]). (So zitiert in 6 Ob 47/15b = MR 2015, 195 zur Aussage, dass ein zweites Gehalt des Patentamtchefs nicht dem Gesetz entspreche; ähnlich 6 Ob 194/16x zur Behauptung, eine Klausel sei für Ärzte standeswidrig. Siehe auch 6 Ob 243/17d zum Vorwurf eine Vorstandswahl in einem Verein sei durch „fast kriminelle Handlungen“ verhindert worden. All dies wurde als Werturteil und nicht als Tatsachenbehauptung eingestuft.)

Im vorliegenden Fall ist die Annahme, dass das Verhalten der Mitarbeiter der Kl keinen „rechtswidrigen“ Übergriff darstelle, keineswegs im Sinne der Rechtsprechung „einfach aus dem Gesetz abzulesen“. Das ErstG musste zur Begründung seiner Auffassung eine ausführliche, mehrstufige Interpretation anstellen. So prüfte es zunächst,

  • welche Tatbestände durch die Protestierenden einerseits und die Mitarbeiter der Kl andererseits verletzt worden sein könnten,

  • weiters ob der „Angriff“ der Protestierenden notwehrfähigen Rechtsgütern gegolten habe,

  • ob seitens der Kl Besitz vorlag,

  • ob dieser nach § 344 ABGB geschützt werden durfte,

  • insb. ob Hilfe der staatlichen Gewalt zu spät gekommen wäre, was durch die Einführung der im Widerspruch zum Gesetzeswortlaut stehenden rechtlichen Figur der „Ausübung des Hausrechts quasi unter Aufsicht und unter Mitwirkung der Polizisten“ gelöst wurde, um schließlich zur Bejahung des Notwehrrechtes bzw. der Selbsthilfe zu gelangen.

Dabei wurde übersehen, dass eigentlich noch in einem weiteren Schritt die Verhältnismäßigkeit der Gewaltanwendung zu prüfen gewesen wäre, und damit die Frage, ob nicht ein Notwehrexzess vorlag.

Auch seitens der Bekl wurde in ihrer Beschwerde an die Datenschutzbehörde ausdrücklich auf ihren subjektiven Eindruck hingewiesen. Nach dem vom ErstG festgestellten Sachverhalt schrieb die Bekl:

In Verhandlungen, denen ich als Prozessbeobachterin beiwohnte, habe ich auf vorgeführten Bildmaterial allerdings Übergriffe von Mitarbeitern des privaten Sicherheitsdienstes KLS bzw. gesehen“, weshalb gegebenenfalls nicht das gewaltfreie Publikum zu überwachen gewesen wäre, sondern die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes KLS.“

Die Formulierung „habe ich ... Übergriffe ... gesehen“ drückt aus, dass die Bekl aufgrund dieser Videos den Eindruck erlangte, dass es Übergriffe gegeben habe, worin auch der durchschnittliche Leser eine subjektive Wertung erblickt. Dies als Teil6 ihrer Überlegungen, ob die Überwachung der anwesenden Zuseher mit Videokameras rechtmäßig war oder nicht.

Die Frage, ob die festgestellten Handlungen der Mitarbeiter der Kl daher rechtswidrig waren oder nicht, stellt somit das Ergebnis diffiziler juristischer Erwägungen und damit eine subjektive Wertung dar. Auch aus diesem Grund wurde der Tatbestand des § 1330 ABGB bei richtiger rechtlicher Beurteilung nicht verletzt.

3. Rechtlich unzutreffend ist in diesem Zusammenhang weiters die Annahme des ErstG, dass es sich bei seiner umfassenden Beurteilung der Rechtswidrigkeit der „Übergriffe“ um den Tatsachenkern handle.

Den Tatsachenkern bildeten hier vielmehr die erfolgten Handlungen der Mitarbeiter, welche durch das Beweisverfahren bestätigt und dementsprechend auch (überwiegend) festgestellt wurden.

Auf Basis dieses Kerns war die Bezeichnung als „Übergriff“ weder unzutreffend noch exzessiv.

4. Die rechtlichen Erwägungen des ErstG, dass die Handlungen der Mitarbeiter der Kl nicht rechtswidrig gewesen wären, sind darüber hinaus auch inhaltlich verfehlt.

Zunächst ist festzuhalten, dass sich die verwinkelte juristische Interpretation im Urteil vielerorts auf das Vorliegen von Tatbeständen stützt, deren Merkmale nicht festgestellt wurden. So nimmt das ErstG an, der Protestierende, auf dessen Finger geschlagen wurde, „versuchte ... seinerseits mit Gewalt die Freigabe der Absperrung zu erzwingen und fremdes Eigentum zu beschädigen.“ (S. 6 im Urteil) Zu einem diesbezüglichen Vorsatz liegen jedoch weder Beweisergebnisse noch Feststellungen vor. Dennoch leitete das ErstG daraus einen Angriff auf die notwehrfähigen Rechtsgüter der Freiheit und des Eigentums ab.

Die Annahme einer Notwehrsituation ist auch deshalb verfehlt, da das ErstG aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung (sekundärer Verfahrensmangel) nicht7 feststellte, dass jene Person, der auf die Finger geschlagen wurde, dieselbe ist, welcher zuvor der Zaun entgegen gedrückt – bzw. bei richtigem Verständnis des Akteninhalts, siehe unten II.: gestoßen – wurde (Protokoll vom 22.06.2018, S. 9). Die Aggression ging daher ursprünglich von einem Mitarbeiter der Kl aus, weshalb eine Berufung auf Notwehr ausscheidet. Es liegt daher eine gegen die logischen Denkgesetze verstoßende Umkehr von Ursache und Wirkung vor. Eine solche Argumentation könnte logisch fortgeführt als Freibrief für Security-Mitarbeiter missverstanden werden, durch Provokationen Eskalationen hervorzurufen, die dann als Anlass für „Notwehr“ betrachtet werden.

Weiters qualifiziert das ErstG die Handlung der zweiten betroffenen Person: „zuvor widerrechtlich in das Baustellengelände eingedrungen war.“ Woraus diese „Widerrechtlichkeit“ abgeleitet wird, wurde nicht angegeben. Argumentiert wird dann mit dem Recht des „Besitzers“ gem. § 344 ABGB. Offen bleibt wer dieser Besitzer sei, woran er Besitz übe (an der Baustelle? am Bagger?), und inwiefern die diesbezüglichen Tatbestandsmerkmale überhaupt vorliegen. Diese Fragen wären keineswegs trivial zu lösen: Auf S. 3 des Urteils wurde festgestellt, dass die Murkraftwerke Graz Errichtungs- und Betriebs GmbH die Kl mit der Überwachung der Baustelle des Murkraftwerkes Graz beauftragt habe. Dass diese Gesellschaft aber etwa Besitzerin des Baggers sei, erscheint höchst zweifelhaft, dieser gehörte wohl der ausführenden Baugesellschaft. Eigentum und Besitz am Baustellengrund wurden durch das Gericht ebenfalls nicht geklärt.

Richtig wies das ErstG darauf hin, dass Selbsthilfe gem. § 344 ABGB nur insoweit zulässig sei, als staatliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist und nur angemessene Gewalt angewendet wird. Beide Sachverhaltselemente wurden jedoch durch das ErstG weder geprüft noch die dafür notwendigen Feststellungen getroffen.

Indem das ErstG angibt, „die Ausübung des Hausrechtes erfolgte quasi unter Aufsicht und Mitwirkung der Polizisten“, geht es vielmehr vom Gegenteil des gesetzlichen Tatbestandes aus: staatliche Hilfe war unmittelbar vor Ort. Dies ergibt sich (neben den vorliegenden Videoaufnahmen) insb. auch aus den Feststellungen auf S. 4, wo davon gesprochen wurde, dass der Mitarbeiter der Kl auf die den Zaun umklammernden Finger einschlägt, bis ein „Polizist den Mann vom Zaun wegbringt.“

Auch die unterlassene Angemessenheitsprüfung hätte zu einer Unzulässigkeit der Gewaltanwendung der Mitarbeiter der Kl geführt: Weder war es notwendig und verhältnismäßig, auf die Finger eines Protestierenden zu schlagen, um zu verhindern, dass schlimmstenfalls ein lose aufgestelltes, mobiles Zaunelement umkippt, noch gilt dies für die Verhinderung des Erkletterns eines Baggers durch einen Griff direkt ins Gesicht einer Person mit so starker Kraft, dass diese rücklings aus dem Stehen zu Boden gedrückt wird. Die drohende Gefahr war in beiden Fällen höchstens eine kurzfristige Verzögerung des Baufortschritts, und konnte somit die unmittelbare Gewaltanwendung mit beträchtlicher Verletzungsgefahr nicht rechtfertigen.

Gerade der Griff ins Gesicht wäre nach der Rechtsprechung vielmehr als entwürdigende bzw. erniedrigende Behandlung nach Artikel 3 EMRK zu werten gewesen: Der Kopf stellt laut Verfassungsgerichtshof einen besonders sensiblen Körperteil dar: Nicht nur Fußtritte ins Gesicht (B90/85), Knüppel ins Gesicht (B473/90) und Schläge auf den Kopf (B88/85), sondern auch eine Ohrfeige (B25/83) und Zerren an den Haaren (B2926/96 sowie VfSlg. 8146/1977, 11687/1988) stellen eine Missachtung der Person und daher potentiell eine Verletzung von Artikel 3 EMRK dar. Ohne jede Vorwarnung (Vorwarnung als mildernder Umstand: B444/77), von hinten ins Gesicht greifen fällt in die gleiche Kategorie.

Der Verfassungsgerichtshof wertet zudem nicht nur das zu Boden werfen (B1228/88) und einen Damm hinunterwerfen (B45/85) als Verletzung von Artikel 3 EMRK, sondern bereits das Stoßen von Personen auf rutschigen Grund, wodurch Menschen der Gefahr des zu Boden Fallens ausgesetzt werden (B1605/88; B1606/88; B1611/88; B1612/88; B1613/88; B1614/88; B1616/88; B1617/88; B1623/88; B1625/88; B1626/88; B1627/88; B1628/88; B1629/88; B1630/88; B1631/88; B205/90; B206/90; B207/90; B208/90; B209/90; B210/90; B211/90; B212/90; B213/90; B214/90; B215/90 ua), als Verletzung von Artikel 3 EMRK. Hier kommt erschwerend eine massive Verletzungsgefahr hinzu, da die zu Boden geworfene Person keine Schutzausrüstung gegen Kopfschläge führte.

Aus all diesen Gründen hätte daher auf Basis der Feststellungen das ErstG bei richtiger rechtlicher Beurteilung nicht zu dem Ergebnis gelangen dürfen, dass die Gewaltanwendung der Mitarbeiter der Kl nicht rechtswidrig gewesen sei. Die Bezeichnung als „Übergriff“ wäre damit vielmehr zutreffend und die Klage abzuweisen gewesen.

5. Weiters irrte das ErstG rechtlich über das Vorliegen des Rechtfertigungsgrundes nach § 1330 Abs 2 3. Satz ABGB.

Die Bekl hat die klagsgegenständlichen Äußerungen, wie auch festgestellt wurde, in einer Beschwerde an die Datenschutzbehörde über die Anfertigung von Videoaufnahmen am 03.07.2017 anlässlich der Räumung des Protestcamps „Murcamp“ getätigt.

Nach der Rechtsprechung besteht für Anzeigen an Strafverfolgungsbehörden, Verwaltungs- und Standesbehörden, generell für Beschwerden und sonstige Eingaben wegen angeblicher Missstände bei zuständigen Stellen, und ganz allgemein für die Ausübung jedes Rechts der Rechtfertigungsgrund nach § 1330 Abs 2 3. Satz ABGB (Dittrich-Tades ABGB, § 1330, E17, E19, E20).

Wer gerichtliche Hilfe in Anspruch nimmt, unterliegt einem milden Maßstab; vor allem darf das Recht jedes Rechtssuchenden, bei Meinungsverschiedenheiten die Hilfe der Behörden in Anspruch zu nehmen, nicht mit einer abschreckenden Verantwortlichkeit für die Rechtsverteidigung belastet werden (aaO E22).

Das ErstG verneint nun das Vorliegen dieses Rechtfertigungsgrundes, da möglicherweise rechtswidrige Videoüberwachungen mit dem Vorwurf, die Sicherheitsleute hätten Übergriffe zu verantworten, nichts zu tun hätten.

Das ist völlig verfehlt: Der im Zeitpunkt der Vorfälle anwendbare § 50a Abs 4 Z 1 DSG 2000 sah ausdrücklich vor, dass eine Videoüberwachung insbesondere dann zulässig sein kann, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, das überwachte Objekt oder die überwachte Person könnte das Ziel oder der Ort eines gefährlichen Angriffs werden. Die von der Kl. vorgenommene Schilderung war daher sehr wohl geeignet, die Datenschutzbehörde umfassend über den zu beurteilenden Sachverhalt dazu informieren. Dazu gehörte jedenfalls auch das Verhalten der Mitarbeiter der Kl, wenn dieses möglicherweise gefährliche Angriffe iSd DSG darstellte, da gegebenenfalls die Videoüberwachung so zu beschränken gewesen wäre, dass nur diese Mitarbeiter bzw. die von ihnen gesicherten Objekte gefilmt werden, nicht jedoch völlig unbeteiligte Zuseher wie die Bekl.

Für das gegenständliche Verfahren kann dahin gestellt bleiben, ob die Videoüberwachung letztlich rechtmäßig war oder nicht. Tatsache ist jedoch, dass die Bekl. das Recht hatte, alle nach ihrer Auffassung relevanten Umstände der Datenschutzbehörde zur Beurteilung zur Kenntnis zu bringen. Es lag daher jedenfalls der Rechtfertigungsgrund vor, so dass auch aus diesem Grund die Klage abzuweisen gewesen wäre.

Dass nach den Feststellungen die Stadt Graz und die Energie Steiermark AG von der Beschwerde bei der Datenschutzbehörde und damit von den Vorwürfen erfahren haben, ändert nichts an dem Vorliegen des Rechtfertigungsgrundes, da dies außerhalb der Einflusssphäre der Bekl lag. Sie selbst hat die Vorwürfe abgesehen von der Beschwerde nicht öffentlich erhoben, derartiges wurde auch nicht festgestellt. Sowohl die Datenschutzbehörde als auch die Stadt Graz unterliegen zudem als Behörden dem Amtsgeheimnis, das Informationen aus laufenden Verfahren unter strafrechtlichen Schutz stellt, weshalb die Bekl. nicht mit der Weitergabe von Daten über ihre Beschwerde rechnen musste. Es liegt zudem im öffentlichen Interesse, dass Menschen sich vertrauensvoll an Behörden wenden können, ohne dass bei offenem Verfahren Daten aus Beschwerden an Dritte weitergegeben werden. Dass andererseits beteiligte Verfahrensparteien über Vorwürfe informiert werden, ist vom Gesetzgeber bei der Regelung des Rechtfertigungsgrundes nach § 1330 Abs 2 3. Satz AGBG schon mitbedacht. Das Annehmen einer „Veröffentlichung“ durch diese Information der Parteien würde die gesetzliche Bestimmung über den Rechtfertigungsgrund völlig gegenstandslos machen. Es ist aber nicht anzunehmen, dass inhaltslose Gesetze erlassen werden.11

6. In diesem Zusammenhang wird weiters als sekundärer Verfahrensmangel aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung geltend gemacht, dass das ErstG trotz entsprechendem Vorbringen der Bekl (Protokoll vom 22.06.2018, S. 12 oben) nicht die folgende Feststellung traf:

Der Zweck der von Seiten der klagenden Partei angefertigten Videoaufnahmen war sowohl die Feststellung der Identität von Versammlungsteilnehmern, als auch der Schutz der eigenen Mitarbeiter vor allfälligen Vorwürfen. Die Beklagte wollte diesen Sachverhalt umfassend nach ihrer Wahrnehmung der Datenschutzbehörde in ihrer Beschwerde vortragen.“

Der Geschäftsführer der Kl hat diesen Zweck der Videoaufnahmen in seiner Einvernahme auf Frage ausdrücklich bestätigt (Protokoll vom 22.06.2018, S. 5 oben). Die Bekl machte ebenfalls entsprechende Aussagen über ihre Absicht bei der Einbringung der Beschwerde (Protokoll vom 22.06.2018, S. 6 Mitte).

Diese Feststellung wäre von rechtlicher Relevanz gewesen, da sich daraus der Zusammenhang der klagsgegenständlichen Äußerungen der Bekl in ihrer Beschwerde an die Datenschutzbehörde mit den von dieser zu klärenden Rechtsfragen ergibt. Wenn sogar nach der Aussage des Geschäftsführers der Kl

Zweck auch die Dokumentation des Verhaltens der eigenen Mitarbeiter war, dann muss deren Verhalten auch in der Beschwerde geschildert werden dürfen.

Die Klage wäre auch aus diesem Grund abzuweisen gewesen.

7. Ein weiterer Rechtsfehler des ErstG liegt darin, dass es dem Widerrufsbegehren Folge gab.

Die Anordnung eines Widerrufs stellt eine Form des Schadenersatzes dar und ist daher an die Voraussetzungen Rechtswidrigkeit und Verschulden gebunden.

Betrachtet man jedoch die oben dargestellten Überlegungen zur Komplexität der Rechtsfrage, ob die Handlungen der Mitarbeiter der Kl rechtswidrig waren, und ob diese Rechtswidrigkeit überhaupt notwendiger Bestandteil des Begriffs „Übergriff“ ist, so kann gerade nicht davon die Rede sein, dass diese Umstände auch der Bekl als juristischem Laien erkennbar gewesen sein mussten.

Dies gilt umso mehr, wenn man den von der Rechtsprechung betreffend Eingaben an Behörden formulierten „milden Maßstab“ zur Anwendung bringt. Die Bekl. traf daher jedenfalls kein Verschulden, so dass zumindest das Widerrufsbegehren abzuweisen gewesen wäre. Die Bekl hatte vielmehr aufgrund der Videos von den Vorfällen gute Gründe, ihre Einstufung als Übergriff für wahr zu halten (RS0031859 T2).

8. Als sekundärer Feststellungsmangel aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung wird gerügt, dass das ErstG keine Feststellungen über die weiteren Übergriffe von Mitarbeitern der Kl traf, welche sich aus den vorgelegten Videos ergaben. Festzustellen wäre gewesen:

Auf einem Video vom 24.02.2017 ist dokumentiert, dass Mitarbeiter der Kl einen Versammlungsteilnehmer festhalten und gegen einen Maschendrahtzaun stoßen. Auf einem Video vom 08. oder 10.02.2017 ist erkennbar, dass zwei Mitarbeiter der Kl einen Mann zu Boden stoßen.“

Diese Feststellungen ergeben sich aus dem Protokoll vom 22.06.2018, S. 10.

Sie sind von rechtlicher Relevanz weil sich daraus ergibt, dass die Vorfälle vom 06.02.2018 keine Einzelfälle waren. Der Tatbestand des § 1330 ABGB wurde daher nicht erfüllt.

9. Ein weiterer Rechtsfehler liegt darin, dass sich das ErstG nicht mit der Verletzung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit der Bekl. nach Art 10 EMRK auseinandergesetzt hat.

Bereits in der Klagebeantwortung hat die Bekl ausdrücklich auf die drohende Verletzung der Meinungsfreiheit hingewiesen.13

Angesichts der äußerst geringen Folgen der strittigen Äußerung der Bekl an die

Datenschutzbehörde wäre eine Verurteilung zur Unterlassung auch mit beträchtlichen Kostenfolgen im Lichte der Rechtsprechung des EGMR jedenfalls völlig unverhältnismäßig und daher grundrechtlich unzulässig: Eine entscheidende Rolle spielt seit den Anfängen der Rechtsprechung des EGMR zu Art 10 EMRK der abschreckende Effekt („Chilling-Effect“), den Sanktionen für Äußerungen auf andere Personen und damit auf spätere Meinungsäußerung haben können (EGMR 27.03.1996, Goodwin ./. GBR, 17488/90, Z 39). Sie schaden letztlich der Gesellschaft insgesamt. Diese Auswirkungen sind in der Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Bewertung der Schwere des Eingriffs zu berücksichtigen (EGMR 26.02.2009, Kudeshkina ./. RUS, 29492/05, Z 99; siehe auch EGMR 15.02.2005, Steel und Morris ./. GBR, 68416/01).

In einer demokratischen Gesellschaft müsste es – so der EGMR kleinen und informellen Gruppen möglich sein, ihre Aktivitäten effektiv auszuüben, da ein starkes öffentliches Interesse daran bestehe, solche Gruppen und Einzelpersonen außerhalb des Mainstreams in die Lage zu versetzen, zur öffentlichen Debatte dadurch beizutragen, dass sie Informationen und Ideen über Angelegenheiten von allgemeinem Interesse, wie Gesundheit und Umwelt verbreiten. Bei der Äußerung der Kl handelt es sich also um eine Meinungsäußerung im engsten Schutzbereich der MRK. In diesem Fall ist der Beurteilungsspielraumes des Staates bei Grundrechtsbeschränkungen geringer (vergleiche dazu ausführlich Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschrechtskonvention, 5. Auflage, 3. Teil, Die Garantien der EMRK, Politische und gemeinschaftsbezogene Grundrechte, 319 f Rz 26 ff).

II. Aktenwidrigkeit

Das ErstG führte ausdrücklich aus, dass nicht festgestellt werden konnte, ob Mitarbeiter der klagenden Partei den Bauzaun energisch zurück und dabei beinahe ins Gesicht einer protestierenden Person schlugen (Urteil S 4).

Dieser Übergriff ist jedoch eindeutig auf dem vorgelegten Video „kls-erster_uebergriff_zaun20170206.mp4“ dokumentiert. Im Protokoll vom 22.06.2018 auf S. 9 wurde es als das erste Video beschrieben.14

Aufgrund dieses Videos hätte das ErstG vielmehr feststellen müssen:

Auf einem Video vom 06.02.2017 sieht man, dass ein Mitarbeiter der klagenden Partei den Bauzaun energisch zurückschleudert und dabei einer protestierenden Person beinahe ins Gesicht schlägt. Dieser Vorfall erfolgte zeitlich vor den beiden anderen zu prüfenden Handlungen von Mitarbeitern der KLS und war der Auslöser der weiteren Ereignisse, die zum Umstürzen des Zaunes führten.“

Entsprechendes Vorbringen hatte die Bekl im Schriftsatz vom 20.02.2018 erstattet.

Auf Basis dieser Feststellung hätte sich ein weiterer „Übergriff“ der Mitarbeiter der KLS ergeben, so dass auch aus diesem Grund die Klage abzuweisen gewesen wäre. Aus dem Video ist erkennbar, dass sich der Protestierende eindeutig im Blickfeld des Mitarbeiters der Kl befand. Da durch seine Handlung offenkundig Verletzungsgefahr (etwa im Augenbereich) bestand, muss von einem diesbezüglichen Eventualvorsatz ausgegangen werden, was auch strafrechtliche Folgen haben könnte. Während des Zurückstoßens befand sich der Protestierende bereits in der Rückwärtsbewegung vom Zaun weg. Die Gewaltanwendung war daher nicht verhältnismäßig, und im Ergebnis rechtswidrig. Auch nach dem rechtlichen Verständnis des ErstG läge darin somit ein „Übergriff“ und wäre die Klage abzuweisen gewesen.

Die Nichtberücksichtigung dieses Videos, das auch in der Verhandlung in Augenschein genommen wurde, grenzt an Willkür und verstößt damit auch gegen die durch Art 6 EMRK garantierten Verfahrensgrundsätze.

Die zeitliche Abfolge der Übergriffe ergibt sich auch aus der Protokollierung des ErstG über den Inhalt der Videos und aus diesen selbst (Protokoll vom 22.06.2018, S. 9). Sie ist von rechtlicher Relevanz, da das nachfolgende Rütteln am Zaun auch als Reaktion auf den erfolgten ersten Übergriff gesehen werden kann. Damit fällt aber die Rechtsgrundlage der vom ErstG angenommen Notwehr weg, wenn Ausgangspunkt der kurzfristig angespannten Lage eben ein unprovozierter Übergriff der Mitarbeiter der KLS selbst war.15

III. Unrichtige Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung

1. Die Ausführungen unter II. werden hilfsweise auch unter diesem Berufungsgrund geltend gemacht.

2. Bekämpft wird weiters die disloziert getroffene Feststellung des ErstG auf S. 6 unten des Urteils:

Durch diese Handlung versuchte der Protestierende seinerseits mit Gewalt, die Freigabe der Absperrung zu erzwingen und fremdes Eigentum zu beschädigen.“

Über die Motivenlage bzw. den Vorsatz des genannten Protestierenden finden sich im Verfahren weder Vorbringen noch Beweisergebnisse. Es handelt sich offenkundig um reine Spekulationen des ErstG. Auf Basis von Spekulationen dürfen jedoch keine Feststellungen getroffen werden.

Im Verfahren sagte etwa die Zeugin Anna Gutter aus, dass die Hauptsorge der Protestierenden vor Ort dem Umstand gegolten habe, dass der Sicherheitsabstand des Zauns zu gering war. Es bestand demnach die Gefahr, dass ein Baum auf die Zuschauer hätte fallen können (Protokoll vom 22.06.2018, S. 7). Eine entsprechende Motivlage zur Änderung der Positionierung des Zaunes wäre daher aufgrund der Verfahrensergebnisse eher festzustellen gewesen, als der vom ErstG angenommene Vorsatz.

Dass die Handlung auf Beschädigung von fremdem Eigentum gerichtet war erscheint darüber hinaus lebensfremd. Es handelte sich um lose zusammengesteckte Bauzaunelemente, wie auch der Geschäftsführer der Kl in seiner Einvernahme schilderte (Protokoll vom 22.06.2018, S. 2). Eine allfällige Entfernung aus dem Sockel am Boden oder auch ein Umkippen solcher Zaunelemente stellt keine Beschädigung dar.

Diese Feststellung müsste daher zur Gänze entfallen. Damit entfiele aber auch die Basis für die Annahme gerechtfertigter Notwehr des Mitarbeiters der Kl. Die Bezeichnung als „Übergriff“ wäre damit auch nach dem Verständnis des ErstG zurecht erfolgt und die Klage wäre abzuweisen gewesen.

Karin Rausch

KOSTENVERZEICHNIS:

(BMG: € 20.000,00)

Berufung TP 3B € 615,80

150% ES € 923,70

ERV-Zuschlag € 2,10

Summe Ust-pflichtig € 1.541,60

20% USt. € 308,32

Pauschalgebühr € 1.143,00

insgesamt € 2.992,92