Landesverwaltungsgericht Steiermark
8010 Graz, Salzamtsgasse 3
Gerichtsabteilung 3
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Verfassungsgerichtshof Wien
Freyung 8
1010 Wien
GZ; LVwG 90.3-3135/2017-1
(LVwG 20.3-2251/2017)
Verordnungsanfechtung
Graz, 27. Dezember 2017
Antragsteller: Landesverwaltungsgericht Steiermark
Salzamtsgasse 3, 8010 Graz
Antragsgegner: Landespolizeidirektion Steiermark
Aus Anlass des beim Landesverwaltungsgerichtes Steiermark anhängigen Beschwerdeverfahren zu GZ: LVwG 20.3-2251/2017 stellt das Landesverwaltungsgericht Steiermark nach Art. 89 Abs 2 und 3 B-VG iVm Art. 135 Abs 4 B-VG iVm Art. 139 Abs 1 Z 1 B-VG sowie nach § 57 VfGG den Antrag gemäß Artikel 139 B-VG, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, dass die Verordnung der Landespolizeidirektion Steiermark vom O3. Juli 2017, GZ: E1/53694/2017 („Auflösung einer Besetzung gemäß § 37 SPG“), ihrem gesamten Inhalte nach Z/ZW V62 gesetzwidrig war.
II. Antragslegitimation:
Die Verwaltungsgerichte sind berechtigt, bei Bedenken bezüglich der Gesetzmäßigkeit von Verordnungen einen Antrag auf Prüfung dieser Verordnungen beim Verfassungsgerichtshof zu steilen und erkennt dieser gemäß Art. 139 Abs 1 Z 1 B-VG auf Antrag eines Gerichtes über Gesetzwidrigkeiten von Verordnungen, wobei im vorliegenden Fall der nach der Geschäftsverteilung des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark zuständige Einzelrichter zur Anfechtung befugt ist,
III. Präjudizitität:
Mit Verordnung der Landespolizeidirektion Graz vom O3. Juli 2017, GZ: E1/53694i2017, wurde die Auflösung einer Besetzung gemäß § 37 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) auf den Grundstücken 2108, 2697/1, 2144, alle KG Jakomini verfügt. Die Verordnung trat am O3. Juli 2017 um 05.25 Uhr, in Kraft, indem sie mittels Megaphon und Anschlag an den Zäunen kundgemacht wurde. In der Folge wurde das „Murcamp“, welches auf den Grundstücken errichtet war, geräumt und Personen, die in das Murcamp wollten, der Zutritt verwehrt. Der Beschwerdeführer P. erhob daraufhin eine Beschwerde gemäß Art. 130 Abs 1 Z 2 B-VG, da ihm der Zutritt zum Camp, wo Sachen von ihm gelagert waren, verwehrt wurde und er daher behauptet, in seinem Grundrecht der
„Versammlungsfreiheit und der Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit nach §§ 6 und 4 StGG und Art. 2 des vierten Zusatzprotokoll der EMRK“ verletzt worden zu sein. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausübung der unmittelbaren behördlichen Befehls- und Zwangsgewalt (Untersagung an der Teilnahme einer Versammlung, Eingriff in das Eigentumsrecht) die Verordnung vom O3. Juli 2017 unmittelbar anzuwenden.
IV. Begründung (Darlegung der gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung sprechenden Bedenken gemäß § 57 Abs 1 VfGG):
1. Im Februar 2017 wurde von Personen, die sich gegen die Errichtung des „Murkraftwerk Graz“ bzw. des „Zentralen Speicherkanal“ aussprechen, ein Protestcamp auf den Grundstücken mit der Nr. 2108, 12697/1 und 2144, alle KG
Jakomini errichtet. Das Camp bestand aus zwei großen Zelten (Verköstigung und Infostand), ein weiteres großes Zelt zwischen drei Bäumen, drei großen Baumhäusern und Zwei Plattformen in der Murböschung. lm Camp wurde Informationsmaterial gegen die Errichtung des Kraftwerkes aufgelegt und Veranstaltungen durchgeführt, wobei die Teilnehmer diskutieren konnten. Zufällig vorbeikommende Passanten wurden ebenfalls angesprochen. Zusätzlich wurden noch kleine Informationstische aufgestellt. Im Durchschnitt befanden sich im Camp tagsüber zwischen 15 und 30 Personen, nachts über bei kalter Witterung drei bis vier, bei warmer Witterung zehn bis zwölf Personen.
Einen Kontakt mit den Kraftwerksbetreibern gab es nicht. Bei den regelmäßig geführten Kontrollen der Polizei war kein Grund zum Eingreifen gegeben.
Am 29. Juni 2017 langte bei der Landespolizeidirektion Steiermark ein Schreiben (datiert mit 27. Juni 2017) von der Stadt Graz, der „Kommunale Dienstleistung GmbH“ und der „Murkraftwerk Graz Errichtungs- und Betriebs GmbH“ ein, in dem die Auflösung der Besetzung auf den Liegenschaften 2108, 269711 und 2144 (alle KG Jakomini) verlangt wird. Begründet wurde dies damit, dass auf den betroffenen Liegenschaftsteilen „Bauarbeiten sowie - aufgrund der getroffenen Vereinbarungen - Gestaltungsmaßnahmen“ durchzuführen seien. Sollte es hiezu zu Behinderungen kommen, würde ein schwerer wirtschaftlicher Schaden bevorstehen und sei auch der Aufenthalt von Personen im Bereich von Bauarbeiten mit einer erheblichen Eigen- und Fremdgefährdung verbunden.
Die Landespolizeidirektion Steiermark erließ sodann eine Verordnung gemäß § 37 Abs 1 Z 2 SPG (siehe Zeugenaussagen HR Mag. Herbert Fuik, S. 4 der Verhandlungsschrift vom 30. Oktober 2017), die nachfolgenden Inhalt hatte.
VERORDNUNG
Gemäß § 37 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBI. Nr. 566/1991, i.cl.g.F., erlässt die Landespolizeidirektion Steiermark folgende Verordnung:
1) Die Grundstücke (2108, 2697/1, 2144 alle KG Jakomini) im Grazer Stadtgebiet im Bereich zwischen der Wohnanlage „Am Landwehr“ und der Mur, sind mit sofortiger Wirkung zu verlassen. Die Besetzung der vorgenannten Örtlichkeit stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Besitzers der und wurde von diesem die Auflösung der Besetzung verlangt.
2) Das Betreten der Grundstücke 2108, 2697f1 und 2144, KG Jakomini im Stadtgebiet Graz wird untersagt.
3) Die anwesenden Personen sind verpflichtet, den Ort der Besetzung sofort zu verlassen und auseinander zu gehen.
4) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes werden ermächtigt, die Besetzer von der im Punkt 1 genannten Örtlichkeit wegzuweisen.
5) Gemäß § 50 Sicherheitspolizeigesetz kann die Wegweisung unter Anwendung unmittelbarer Zwangsgewalt durchgeführt werden.
Für den Landespolizeidirektor:
Mag. Fuik, Hofrat
Die Verordnung wurde vom Behördenvertreter am 03. Juli 2017, um 05.25 Uhr, mittels Megaphon kundgemacht und an den dort befindlichen Zäunen angeschlagen. Am Camp befindliche Personen wurden von den Grundstücken verwiesen. Die dortigen von den Campbewohnern eingebrachten Gegenstände wurden durch Mitarbeiter der Stadt Graz und der Berufsfeuerwehr Graz entfernt. Dem
Beschwerdeführer wurde von den dort anwesenden Polizisten mitgeteilt, dass er keine Möglichkeit hätte in das abgesperrte Gelände zu kommen.
§ 37 Abs 1 SPG lautet:
Auflösung von Besetzungen
(1) Kommen mehrere Menschen ohne Duldung des Besitzers auf einem Grundstück oder in einem Raum in gemeinsamer Absicht zusammen, ohne daß diese Ansammlung den Bestimmungen des Versammlungsgesetzes 1953 unterliegt, so hat die Sicherheitsbehörde mit Verordnung das Verlassen des Grundstückes oder Raumes anzuordnen und zugleich dessen Betreten zu untersagen, wenn
1.die Auflösung der Besetzung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung notwendig ist oder
2. die Besetzung einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Besitzers darstellt und dieser die Auflösung verlangt.
Die Sicherheitsbehörde hat in diesen Fällen die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu ermächtigen, die Besetzer vom Grundstück oder aus dem Raum zu weisen. Für solche Verordnungen gilt § 36 Abs. 4.
Der § 37 SPG wurde als Ergänzung zur Auflösung von- Grundstücksbesetzungen eingeführt, soweit es sich nicht um Versammlungen im Sinne des Versammlungsgesetzes (VersG) handelt. Die Befugnis des § 37 SPG steht somit nur dann zur Verfügung, wenn die Befugnisse des Versammlungsrechtes nicht zum Tragen kommen (Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, 4. Auflage, 2011, S. 365 RZ 7).
Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens, insbesondere dem Ergebnis der Verhandlung vom 30. Oktober 2017, geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass es sich beim Murcamp um eine Versammlung handelt.
Sowohl § 1 des VersG als auch Art. 12 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867 definieren den Begriff „Versammlung“. Greit man auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zurück, so ist „unter einer Versammlung eine Zusammenkunft mehrerer Menschen in der Absicht, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen, zu verstehen, sodass eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht.
Eine Versammlung ist - mit anderen Wörtern ausgedrückt- das Zusammenkornmen von Menschen (auch auf Straßen) zum gemeinsamen Zweck der Erörterung von Meinungen oder der Kundgabe von Meinungen an andere; keine Versammlung ist das bloß zufällige Zusammentreffen von Menschen (VfSlg. 12.161/1989). Unter den Versammlungsbegriff fallen auch sogenannte Spontanversammlungen (VfSlg. 14.366/1995). Ebenso sind Eigentumsverhältnisse und Zweckwidmung des Versammlungsortes ohne Relevanz (VfSlg. 14.367/1995).
Im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26.02.1997, B 2728/96, wurde eine Baustellenbesetzung als Versammlung qualifiziert. In dem Erkenntnis wurde ausgeführt, dass es das „Ziel der Aktivisten war[...], den Bau eines Kraftwerkes zu be- bzw. zu verhindern. Sie blockierten die bereits im Gang befindlichen Bauarbeiten durch ihre Anwesenheit sowie durch die Ausübung passiven Widerstands, wie etwa durch Errichtung von Lagerstätten und durch Aneinanderketten von Personen im Nahebereich der Bauarbeiten. Der UVS hat dieses kollektive Verhalten _ das im Übrigen bloß Teil umfangreicher Aktionen von Kraftwerksgegnern im Baustellenbereich war - in demonstrativem Zusammenwirken zur drastischen Betreibung eines offenkundig gemeinsamen Zieles zu Recht als Versammlung im Sinne des VersG qualifiziert“ (siehe auch VfGH 30.11.1995, B 262-267/95).
Auch im konkreten Fall geht das Landesverwaltungsgericht Steiermark von dem Vorliegen einer Versammlung aus, da die Teilnehmer des Murcamps zwar noch nicht die Bauarbeiten blockierten, jedoch durch lnfostände, Veranstaltungen ein gemeinsames Ziel verfolgten, nämlich die Verhinderung des Kraftwerkbaus.
Bei einem gesetzmäßigen Vorgehen wäre für die Landespolizeidirektion Steiermark der § 13 VersG heranzuziehen gewesen und bei entsprechenden Voraussetzungen danach die am Murcamp befindliche Versammlung aufzulösen. Dadurch, dass die Auflösung der Versammlung jedoch (auch ausdrücklich) nach § 37 SPG durchgeführt wurde, verstößt die angefochtene Verordnung gegen § 37 Abs 1 SPG. lm Übrigen hat die verordnungserlassende Behörde den § 37 SPG in rechtswidriger Weise angewandt und wurde somit in unzulässiger Weise in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit des P. eingegriffen.
2. Sollte der Verfassungsgerichtshof der Auffassung sein, dass es sich um k_el3§ Versammlung, sondern um eine Besetzung von Grundstücken gehandelt hat, so stehen der Erlassung der angefochtenen Verordnung noch weitere Gründe entgegen.
Die Verordnung wurde laut Behördenvertreter gemäß § 37 Abs 1 Z 2 SPG erlassen (siehe Aussage HR Mag. Herbert Fuik in der Verhandlung vom 30. Oktober 2017).
Eine Auflösung der Besetzung im Sinne des § 37 Abs 1 Z 1 SPG wurde nicht geprüft. Voraussetzung des § 37 Abs 1 Z 2 SPG ist ein „schwerwiegender Eingriff in die Rechte des Besitzers“. Dieser schwerwiegende Eingriff wird im Schreiben des Besitzers pauschal damit begründet, dass auf den Liegenschaftsteilen Bauarbeiten und Gestaltungsrnaßnahmen durchzuführen wären. Eine weitere Begründung ist
dem Schreiben nicht zu entnehmen, vielmehr gab der Behördenvertreter bekannt, dass er nach Einlangen des Antrags „nicht mit den Antragstellern gesprochen“ hat.
Es sei ihm nicht bekannt gewesen, wann die Rodungsarbeiten beginnen würden, sondern vermutete er aufgrund des Antrages, dass die Rodungsarbeiten bevorstehen. Letztendlich haben die Rodungsarbeiten bei den in der Verordnung genannten Grundstücken erst Monate später (Oktober 2017) begonnen. Würde man der Vorgangsweise der Landespolizeidirektion Steiermark folgen, so würde bei jeglicher Besetzung eines Privatgrundstückes ein Verlangen des Verfügungsberechtigten zur Auflösung der Besetzung führen ohne dass der vom Gesetz geforderte „schwerwiegende Eingriff“ konkret festgestellt wird. Gerade bei einer Großbaustelle, wie beim Murkraftwerk wäre für die vom „Murcamp“ betroffenen Grundstücke zu klären gewesen, wodurch dieser „schwerwiegende Eingriff' verursacht wird.
Nach § 37 Abs 1 erster Satz SPG wird auf die „Duldung“ des Zusammenkommens verwiesen. Geht man davon aus, dass das „Murcamp“ von Februar 2017 bis zum O3. Juli 2017 vom Verfügungsberechtigten geduldet wurde, „so scheidet eine Auflösung der Besetzung aus, auch wenn der Besitzer später mit dem Zusammenbleiben nicht mehr einverstanden ist“ (Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, 4. Auflage, 2011, S. 362 RZ 2.3). Der Verfügungsberechtigte der Grundstücke hat offensichtlich monatelang die Zusammenkünfte geduldet und war daher aus Sicht des Besitzschutzes sein Verlangen weniger schutzwürdig, als derjenige, der von Anfang an Opfer einer missbilligten Zusammenkunft war.
Aus den dargelegten Gründen
beantragt
das Landesverwaltungsgericht Steiermark, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, dass die Verordnung der Landespolizeidirektion Steiermark vom 03. Juli 2017, GZ: E1/53794/2017, in ihrer Gesamtheit gesetzwidrig war.
Für das Landesverwaltungsgericht Steiermark
Gerichtsabteilung 3
(Mag. Dr. Erich Kundegraber)
Beilagen:
Akt des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark samt Aktenverzeichnis (1-fach)
Ergeht nachrichtlich an;
1. das Präsidium im Hause;
2. das Evidenzbüro im Hause;
3. die Landespolizeidirektion Steiermark, Büro Rechtsangelegenheiten (B1)
Straßganger Straße 280, 8052 Graz, zu GZ: P1/69774/2017-B1,
per E-Mail: lpd-st-buero-rechtsangeleqenheiten@gpolizei.qv.at, zur Kenntnis;
4. Herm P., z.H. Mag. Martin Mair zur Kenntnis.