Von Reinhard Padinger, Museum des Wahnsinns, Trate
Die Mur ist ein europäischer Fluss mit einer Länge von 438 km. Die Mur entspringt in den Hohen Tauern und fließt durch die vier Staaten Österreich, Slowenien, Kroatien und Ungarn1. Die Mur ist einer der Zuflüsse der Drau, welche ihrerseits ein Zufluss der Donau ist, die letztlich ins Schwarze Meer fließt. Damit ist die Mur ein Teil eines großen gemeinsamen Flusssystems, das sich mit all seinen Zuflüssen nicht nur auf die genannten Staaten sondern auf einen weiten Teil Europas erstreckt. Die Verbundenheit der Wasserläufe ermöglicht den Fischen lange Laichwanderungen, von denen ihr Fortbestand abhängt. Einzelne Fischarten legen Laichwanderungen bis zu 500 km zurück. Das Flusssystem ist daher auch ein großes zusammenhängendes Ökosystem, vor allem in Gebieten, wo die Flüsse ungehindert fließen können, das heißt frei von für Fische unüberwindlichen Hindernissen wie Staumauern von Wasserkraftwerken.
Im Oberlauf, von der Quelle bis nach Graz, ist die Mur ein typischer Alpenfluss mit beträchtlichem Gefälle, das schon über lange Zeit für den Betrieb von Mühlen und Sägewerken ausgenützt wurde2. lm vorigen Jahrhundert wurden mit der Elektrifizierung Europas an der Mur immer mehr Kraftwerke gebaut, heute sind es 24 hintereinander, so dass der Oberlauf der Mur in einem geologischen Querschnittsbild schon wie eine richtige Stiege aussieht.
Das letzte Wasserkraftwerk bzw. die letzte Staumauer ist heute in Ceršak, einem Dorf in der Nähe von Spielfeld, wo die Mur die österreichisch-slowenische Grenze erreicht, sich nach Osten wendet und als Grenzfluss zwischen Österreich und Slowenien weiterfließt. Von dort aus fließt die Mur frei, ohne künstliche Hindernisse bis zu ihrem Zusammenfluss mit der Drau und weiter mit der Donau. Nicht weit unterhalb von Bad Radkersburg nach dem endgültigen Übertritt in slowenisches Gebiet, genauer gesagt ab Veríej fließt die Mur noch ungehinderter, nämlich auch frei von jeglichen seitlichen Regulierungen. Auf diesem Gebiet zeigt sie wegen des geringen Gefälles noch prachtvolle Flusswindungen mit vielen Seiten» und Altarmen, die noch heute von Zeit zu Zeit nach Überschwemmungen ihren Lauf ändern und einen einzigartigen Lebensraum für unzählige Tiere und Pflanzen darstellen (Bild 1).
Die Vielfalt der heimischen Tierwelt der frei fließenden Mur ist geradezu unglaublich: 64 Fischarten, das Neunauge, der Biber, der Fischotter.. usw. und für ganz Europa von ausnehmender Bedeutung3, Nicht ohne Grund hat die Mur letztlich den Ehrentitel „Amazonas von Europa" bekommen 4.
Mit diesem Ehre wird es aber bald ein Ende haben, nämlich wenn die Stromproduzenten ihr derzeitigen Pläne verwirklichen und die bestehende Wasserkraftwerkskette mit weiteren Kraftwerksobjekten und Staubereichen entlang des Unterlaufs der Mur verlängern, von Spielfeld flussabwärts bis in die derzeit noch unberührten Naturgebiete. Ist so etwas sinnvoll? Das Gefälle der Mur in den Niederungen ist sehr gering. Um ein paar Megawatt Leistung zu erzielen müsste man 10 km lange Staubereiche flussaufwärts und ähnlich lange Eintiefungskanäle flussabwärts vom Kraftwerk errichten. Derartige Eingriffe hätten katastrophale Folgen für die Natur und die Umgebung. im Folgen seien die wichtigsten von ihnen kurz aufgezählt und erläutert.
Unterbrechung der freien Fließstrecke Künstliche Sperren verringern die Möglichkeiten der Laichwanderung. Wasserlebewesen, insbesondere Fische können sich im Flusssystem nicht mehr ungehindert bewegen, so wie es ihnen angeboren ist. Im Bereich von Stauwerken werden heute zwar verpflichtend so genannte Fischleitern errichtet, im Fall einer Kraftwerkskette nützt das den Fischen aber nicht viel. Die meisten der bedrohten Fischarten brauchen nämlich sehr spezifische Bedingungen an den Laichplätzen, vor allem Schotterbänke, eine bestimmte Fließgeschwindigkeit, eine bestimmte Wassertiefe, Temperatur, Verhältnisse in Altarmen.„die in einem Stausee nicht erfüllt sind. In einer Kraftwerkskette kommen sie nur aus dem einen für sie ungünstigen Lebensraum in den nächsten. Wenn der Fluss einer Stiege gleicht, werden die empfindlichen Arten verschwinden, die Fischleiter verbleibt nur mehr im Sinne einer erfüllten Bedingung in der Baugenehmigung.
Geschiebetransport
Die Erosion ist eine natürliche Erscheinung. Die Flüsse transportieren Geschiebe aus den Bergen, das sich nach und nach zerkleinert. In den Niederungen trägt der Geschiebetransport zur Entstehung von wertvollen Böden bei, die die Grundlage für die Nahrungsproduktion darstellen. Mit den Stausperren wird das Geschiebe zurückgehalten.
Durch die Barrieren gelangen nur feine Absetzstoffe, die stromabwärts unter anderem die Schotterböden verlegen. Der Flussboden wird damit hart und die in den Bodenschichten lebenden Lebewesen verlieren ihren Lebensraum. Die Folge ist eine verringerte Biodiversität bzw. der Verlust von Arten.
Senkung des Grundwasserspiegels
Bei den Dämmen kann sich aufgrund der erforderlichen seitlichen Entwässerung auch die Geschwindigkeit im Grundwasser verändern, Die Aufstauung kann sich daher negativ auf den Wasserhaushalt im Grundwasser auswirken und auch die verfügbaren Trinkwasservorräte verringern.
Entstehung von Methan und feinen Absetzstoffen
In den Staubereichen sammeln sich große Mengen von feinen organischen Absetzstoffen, Es kommt zur anaeroben Fermentation dieser Stoffe und es entsteht Methan. Methan ist nach den Ergebnissen jüngerer Untersuchungen 34 mal so gefährlich in Bezug auf die Klimaerwärmung wie CO2. Aus den Staubereichen müssen diese Stoffe von Zeit zu Zeit ausgebaggert werden. Dabei werden große Mengen dieser Stoffe aufgewühlt. Die Folge ist eine zwar kurzzeitige aber doch katastrophale Verschmutzung des Wassers, vergleichbar einer Schlammbrühe, die für die meisten Fische flussabwärts den Tod bedeutet.
Wassertemperatur
Während der Sommermonate erwärmt sich das Wasser in den Staubereichen stärker als in den freien Fließstrecken Die Folge ist eine schlechtere Lösungsfähigkeit für Sauerstoff und damit verbunden eine Verschlechterung der Qualität des Wassers, die sich auch in die Bereiche des Grundwassers fortsetzt.
Zerstörung von Kulturplätzen
Das natürliche Flussbett, die Uferzonen, die Zuflüsse, die Mäander all diese Einzelheiten verleihen dem Gebiet um die Mur das charakteristische Bild eine unberührten Natur, welches eine hervorragende Möglichkeit für die Entwicklung des sanften Tourismus und die Schaffung von „naturfreundlichen” Arbeitsplätzen darstellt. Mit dem Bau von Betonkomplexen und der Aufstauung käme es zur endgültigen Zerstörung dieses Naturjuwels und zur irreparablen Entwertung der bestehenden Kulturlandschaft.
Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass auch Gründe für den Ausbau der Wasserkraft bestehen. Einer davon ist, dass die Wasserkraft zu den erneuerbaren Energien zählt, Dabei wird der zerstörende Einfluss der Wasserkraftwerke auf die Natur zu oft vergessen. Bei den Wasserkraftwerken ist nur das Wasser erneuerbar, die zerstörte Natur ist es mittelfristig nicht. Die Wasserkraft ist dort, wo die damit verbundenen Eingriffe in den Lebensraum von Mensch und Tiere irreparable Schäden verursacht, einfach nicht nachhaltig.
Woher soll aber die Energie kommen, die wir zum Leben brauchen? Diese Frage ist meines Erachtens falsch gestellt.
In den entwickelten Ländern Europas haben wir schon lange „genug“ Strom. Die Anstrengungen müssen nur verstärkt dahin gehen, die Möglichkeiten der Energieeinsparung zu nützen und die Verschwendung von Strom zu stoppen, den wir nicht wirklich zum Leben brauchen sondern oft nur für fraglichen Luxus und die Beschleunigung des Geldkreislaufs.
Wasserkraftwerke „ja”, aber nicht in Regionen, in denen wir mit ihnen die letzten natürlichen Gebiete, die wir noch haben, unwiederbringlich zerstören, vor allem nicht in den geschützten Bereichen der Natura 2000 Gebiete!
Quellen:
1 http://mvd20.com/LETO2005/R26.pdf
2http://www.prinz-eugen.at/geschichte
3Metka Povz, Evropsko promembne ribe v Pomurju